Tag 4 – Teil 2

Heute war ich also bei der Statue of Liberty und auf Ellis Island. Mal wieder sehr beeindruckend. Im Vergleich zum letzten Besuch im Sommer 1997 waren es richtig wenige Leute, dafür natürlich wesentlich frischer. Die Fahrt war gut, wenn auch nicht so sehr aus Sightseeing, sondern aus  Recherche-Gründen. Clara soll hierher fahren, nachdem sie im Krankenhaus erfährt, dass Marcus wird nie wieder gehen können. Aber das ist völliger Quatsch, und genau daran merkt man, wie wichtig vor Ort-Recherche ist. Die ganze Prozedur mit Tickets kaufen, sich durchfilzen zu lassen, Laptop auf Sprengstoff untersuchen zu lassen, auf das Schiff zu warten, sich in die Touris einzureihen (denn dann ist ja Sommer), um dann endlich und irgendwann rüber zu schippern, dauert viele zu lange für ein aufgewühltes und verwirrtes Gemüt. Das würde sie nie machen. Das würde vermutlich niemand machen. Soviel Geduld hat in so einem Augenblick kein Mensch.  Vielleicht kann ich ein Besuch ein ander Mal einbauen, aber definitiv nicht in dieser Situation. Das ist mir sehr klar geworden. Das Drum herum hatte ich völlig unterschätzt.
Im Anschluss war ich noch bei Adrienne’s Pizzabar. Dort trifft sich Clara mit Laura, nachdem sie das erste Treffen wegen ihrer Santo-Spionage verpasst hatte. Das ist ein guter Treffpunkt, wobei er mittags völlig überlaufen ist von allen möglichen Wallstreet- und Bürofutzis. Obwohl ein spätes Lunch sicherlich ginge. Als ich ging, war es schon wesentlich ruhiger. Im Anschluss macht Clara ja noch einen Spaziergang im Battery Park, und auch das passt ganz gut, da gleich um die Ecke und für einen Spaziergang (zumindest einen kleinen) passend.
Das habe ich also alles schon herausgefunden heute. Zudem habe ich festgestellt, und das hört sich jetzt vermutlich erschreckender an, als es klingen soll, dass meine Leidenschaft und Interesse für New York und Amerika im Vergleich zu früher echt abgeflaut ist. Ich stelle vielmehr in Frage als früher, finde vieles sehr einfach, sehr abschreckend, sehr ernüchternd. Gerade diese Gegensätzlichkeit, die mich früher fasziniert hat, finde ich zumindest in diesen Tagen eher erschreckend. Ich finde diese Scheinheiligkeit der Wertevorstellung (direkt hinter der Sicherheitspassage bei der Statue-of-Liberty-Fähre steht ein Schild mit einem Zitat von Lincoln, das ungefähr so geht „Liberty is where my country is“ oder so ähnlich) ernüchternd. Vielleicht kann ich noch besser ausdrücken, was mir hier fehlt oder mich hier stört, wenn ich sage, was mir an Europa so gefällt: alte Kulturen, die bewusst erfahren und gelebt werden; distinguierte Küchen, bei denen man sich zum Essen Zeit nimmt; ausgeprägte Vielfalt an Traditionen, Bräuchen und ein tiefes Geschichtsbewusstsein; gut gebaute Wohnhäuser mit guten Fenstern, guter Elektrik; eine Cafékultur, eine Weinkultur, ein anderes Selbstbewusstsein und Selbstverständnis. Ja, ich muss sagen, manchmal muss man erst mal wieder ganz weit weg fahren, um zu merken, dass man echt auf einem irre Kontinent lebt.
Versteht mich jetzt bitte nicht falsch: Ich finde Amerika immer noch spannend, und ich habe auch noch längst nicht all das in diesem Land gesehen, was ich gerne sehen möchte. Aber ich bin kritischer, skeptischer und zuversichtlicher in das, was ich zuhause habe. Das ist vermutlich auch gut so, denn es wäre wirklich schlimm, wenn es anders herum wäre. Dann würde ich gewiss auswandern müssen, denn das macht einen auf Dauer unglücklich.
Ihr seht: New York hat es mir bislang nicht leicht gemacht (bin nach Adrienne’s in The Cell gefahren: mal wieder Kopfschmerzen), aber ich es ihm anscheinend auch nicht. Jetzt werde ich mich wieder in die Kälte begeben und frische Luft einatmen. Der südliche Teil des Central Parks steht noch auf dem Programm. Bis später.

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