Ich wünsche mir dich bald zurück

Mein Liebster,

wie düster ist diese Welt, seit du fort bist. Kein Vögelchen scheint mehr zu zwitschern, kein Baum im Wind zu rascheln, kein Sonnenstrahl mehr den Boden zu berühren. Es ist kalt und traurig um diese Welt – um mich geworden. Ich leide. Ich leide und vermisse dich. Wie sehr wünschte ich mir, dass du bälder wiederkehrst. Zurück zu mir. Ich kann nicht ohne dich sein.

Jedes Mal, wenn es an der Tür klingelt, denke ich, du könntest es sein. Mich überraschen. Mich retten. Mich lieben. Ich weiß, du liebst mich auch aus der Ferne. Aber deine Nähe, mein Geliebter, deine Haut zu riechen, dich zu streicheln, deinen Atem zu hören, wenn du schläfst. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt.

Ich weiß, ich sollte nicht so reden. Ich sollte dankbar sein über die Zeit, die wir gemeinsam verbringen durften. Nie war Liebe so wesentlich, so wichtig wie derzeit. Wenn draußen die Sirenen heulen, die Kugeln einschlagen, die Welt unterzugehen droht, dann besinnen sich die Menschen auf das, was wirklich wichtig ist. Auf das Jetzt, auf die Liebe, auf den Menschen an deiner Seite. Ich hoffe so sehr, dass du gesund bleibst, dass du nicht verletzt wirst, dass du bald wieder kommst.

Frau Schmittgens von der Acht hatte neulich ihren Brief bekommen. Ohne Worte wurde er ihr von einem Bübchen überreicht, der kaum 14 gewesen sein mag. Ich glaube nicht, dass er wusste, was er da überreicht. Zumindest wünsche ich es ihm nicht. Was würde das für sein Leben bedeuten, wenn er wüsste, dass er der Überbringer von Todesnachrichten ist? Zerstörer von Leben? Unheilbringer? Zukunftsvernichter? Ich befürchte, eines Tages, wenn dieser Schrecken hier hoffentlich und hoffentlich bald vorbei sein wird, wird jemand es ihm sagen oder er wird es so erfahren. Ich hoffe, er wird nicht daran zerbrechen. Frau Schmittgens ist zerbrochen. Diesen Schrei, den sie ausgestoßen, aus sich heraus gebrüllt hat, ist durch Mark und Bein gefahren. Nicht nur mir, mein Liebster, sondern allen um uns herum. Dieser Schrei schien durch die Stadt zu laufen, an Fensterläden zu rütteln, die Leute aus ihrem Schlaf zu schrecken. Mann wie Frau griff sich ans Herz. Und ich dachte an dich, mein Liebling, an dich und deine strahlenden Augen, dein Lächeln, wenn du mich anschaust. Tränen kullerten mir herab und ich wünschte mir, ach ich wünschte mir so sehr, dass ich mit dir hätte gehen können. Dass ich nun wie ein Schutzengel neben dir stünde, dich beschützen könnte. Seit dem Tag habe ich Frau Schmittgens nicht mehr gesehen. Keiner von uns. Sie ist nicht heraus gekommen aus ihrer Wohnung. Auch nicht, wenn wir uns im Schutzraum einfinden, wenn die Bomben auf die Stadt prasseln, und wir uns fragen, ob dieser Keller Schutz und Grab zugleich ist. Jeder weiß, dass es ihr nun egal ist, ob sie lebt oder stirbt, und dass sie doch eigentlich lieber sterben würde, um bei ihrem Alfons zu sein. Denn was ist das für ein Leben ohne den Anderen? Sag es mir.

Mein Liebster, ich hoffe, dieser Brief erreicht dich wohlauf. Ich vermisse dich und schicke dir statt meiner tausend Schutzengel, die über dich wachen und dir heiße Küsse auf die Stirn, die Lider, die Wangen, die Lippen drücken.

Ich wünsche mir dich bald zurück. Ich wünsche mir dich gesund. Ich wünsche mir, dass dieser Krieg bald vorbei ist und wir unser normales Leben zurück bekommen.

Ich liebe dich. Ich brauche dich. Ich wünschte, du wärst hier.

Die Deine.

(Weekyl #7 – Liebesbrief)

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