Petit Poème en prose beim Thai

Sitze beim Thai und schaue auf eine weiß Orchidee. Blume im Glas. Sie ist echt und wird bald verblühen. Vergänglich mit ein wenig Zierde in diesem sonst kahlen Raum. Ungewöhnlich für Asiaten. Um mich trinken die meisten Mangolassis. Ein Getränk, das nach Deutschland kam wie der Lambrusco in den fünfziger Jahren. Ich wähle einen Grauburgunder. Breche die Erwartungen. Vermutlich war mein Lassi schon vorbereitet auf der Theke gestanden. Neben mir trinken sie Mai Thai. Sie verbringen einen Abend fern ihrer Kinder mit einem Freund. Schön. Meine Hühner-Kokossuppe kommt und ist lecker. Nebenan die gemischte Vorspeisenplatte. Wahlberliner, denen ihre Herkunft im schwäbisch klingenden Hochdeutsch anzumerken ist. Ich löffle weiter. Er bestellt den nächsten Mai Thai. Flucht aus dem Alltag. Die Frau schaut schon. Sagt aber nichts. Ich lobe die Suppe, als die kleine Thai-Bedienung sie abräumt. Sie versteht kein Deutsch. Ich widme mich meiner Zeitung. Bankraub in einer Sparkassenfiliale irgendwo in Berlin. Sollten Zeitungen nicht Neuigkeiten bringen? Ah. Es gab einen Toten. Na dann. Ich lese aufmerksamer. Nebenan vergleichen die Männer ihre Smartphones. Wollen dann auch meines sehen. HTC? Ja, schon viel davon gehört. Soll gut sein. Sagt der Mai Thai-Trinker zu mir. Das ist gut. Sag ich. Er lächelt. Sie schaut. Ich lese weiter über den Bankräuber. Er wurde von einem Bankbesucher erschossen. Man trägt jetzt auch in Deutschland Waffen. Mein Fisch in rotem Curry kommt. Nebenan die Ente, das Rind und das Huhn. Letzteres für die Frau. Wir essen, und ich überlege, welche Waffe mir stehen würde. Sie müsste klein und handlich sein. Wiegen die eigentlich viel? Die kleine Thai steht vor meinem Tisch und lächelt fragend. Ich antworte lächelnd zurück. Wir verstehen uns. Sie geht an den Nebentisch. Sie lächelt fragend. Er möchte wissen, woher das Rind kommt. Die Thai lächelt und geht weiter. Es entbrennt eine Diskussion über Deutschsein und Werte. Da wären wir also wieder. Kleingeister in einer Großstadt. Ich genieße meinen Fisch. Einmal hat er im Wasser gelebt. Jetzt schwimmen Stückchen von ihm in meiner roten Currysauce. Muss ich mehr wissen? Ihm einen Namen geben? Ich schaue auf das letzte Stück anonymen Fisch. Wer warst du, flüstere ich und schiebe ihn mir in den Mund. Essen mit Liebe. Nach der Diskussion mit Migrationshintergrund ist des Deutschen nächstes Lieblingsthema aufgetischt. Ein Abend mit mehreren Gängen. Jetzt: Erziehung. Der Mai Thai wirkt. Kinder brauchen Freiraum. Jawoll. Und Grenzen. Jawoll. Kinder müssen rebellieren. Gegen ihre Lehrer. Jawoll. Da dürfen kreative und hochbegabte Kleinode von Kleingeistern nicht einfach tun, was ihnen gesagt wird. Das wäre ja kleinkariert. Vielmehr müssen sie bereits mit sieben Jahren eine Schreibtischrevolution auslösen. Jawoll. Nur durch Widerspruch wächst man. Abends kommt Papa von seinem anstrengenden Geld für die Familie verdienenden Job nach Hause. Da hat es sich dann ausrevolutioniert zu haben. Rebellion von acht bis zwei Uhr. Er möchte Ruhe. Ich trauere meinem Freund dem Fisch nach. Posthum beschließe ich, ihn Anton zu nennen und schiebe ein übrig gebliebenes Stück Bambussprosse im roten Taufwasser hin und her. Die kleine Thai räumt unser Geschirr ab. Der Nachbartischmann leckt sich die Lippen. Der Freund schaut auf die Frau. Die schaut auf den Boden. Gier und Mitleid zum Dessert. Ich will zahlen und lächle das Thaimädchen an. Wir verstehen uns. Die Diskussion, ob man jetzt mit 100.000 oder 120.000 Jahresgehalt gut über die Runden kommt, bekomme ich nur in ihren Anfängen mit. Der Bankkunde muss mit einer Haftstrafe rechnen. Wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Der Mord war Notwehr.

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