Weihnachtsmarkt
Es steht ein kleiner Stand jedes Jahr auf dem Weihnachtsmarkt in dieser großen, sonst so kalten Stadt. Diese Holzhütte sieht etwas mitgenommen aus – schon zu oft wurde auf- und wieder abgebaut. Das Holz ist verblichen, hat an den ein oder anderen Stellen tiefe Kerben und vorn unten rechts und links – dort, wo das Holz von Innen nicht gut zu beschützen ist, haben ein paar Jugendliche ihre üblichen Markierungen hinterlassen: S+J, Arne liebt Julia, scheiß Schule, die ein oder andere Bekenntnis zu Drogen oder Rockbands sowie die Einstellung gegenüber Ausländern und auch Nazis. Diese Inschriften spiegeln auf perfekte Art und Weise das wider, was Jugendliche in ihrem täglichen Leben bewegt, berührt, belastet.
Der Weihnachtsmarktstand ist unscheinbar, geht er doch inmitten all der anderen funkelnden und glitzernden Buden unter. Sie scheinen mit Lichterketten, Blinklichtern, neonfarbenen Schildern alles überstrahlen zu wollen. Sie drängeln sich geradezu in den Vordergrund, spielen sich auf, versprechen mehr, als sie am Ende halten können. Diese Buden spiegeln auf perfekte Art und Weise das wider, was wir verabscheuen, an vielen anderen Menschen verachten, an uns selbst verleugnen.
Die kleine mitgenommene Hütte hat auf den ersten Blick nicht viel zu bieten. Sie verkauft heiße Maroni, 100 Gramm zu 2,50 Euro, früher waren es mal 2,50 DM. Mehr gibt es dort nicht. Der alte Mann, der mit abgeschnittenen Handschuhen und einer tiefen Wollmütze, die beide so alt sind wie er selbst und zusammen mindestens so alt wie der Stand selbst, bietet keine Plauschereien, keinen small talk oder Austausch von Banalitäten. Er ist sanft, freundlich und bescheiden – und passt sich damit seinem Weihnachtsmarktstand perfekt an. Kein Einwohner der Stadt möchte Stand und Mann missen. Sie strahlen Zuversicht, Wärme und Liebe aus. Sie spiegeln auf perfekte Art und Weise das wider, was wir sein wollen, sein können und doch selten sind.