„Aber Engel gibt es doch gar nicht.“
Der kleine Tim schaute seine Großmutter entrüstet an und stemmte dabei seine zu Fäusten geballten Hände in die Seiten.
„So, meinst du, kleiner Mann. Und woher weißt du das?“
„Von Paula.“
„Von Paula, soso. Nun, vielleicht weiß auch deine Freundin Paula nicht immer alles so genau. Denn Engel gibt es sehr wohl. Glaub mir.“
Der kleine Tim schaute seine Großmutter weiterhin sehr ernst an, aber man konnte sehen, dass er sich auf einmal nicht mehr so sicher war.
„Wenn es Engel wirklich gibt, Omi, wo sind sie dann? Ich kann sie nicht sehen.“
„Engel, Tim, kann man nur mit dem Herzen sehen.“
Tim schaute seine Großmutter jetzt mit weit aufgerissenen Augen an.
„Mit dem Herzen?“ Dann kletterte er auf ihren Schoß und schmiegte sich an sie. Nach einem kleinen Augenblick der Überlegung meinte er schließlich: „Und wie sieht man mit dem Herzen, Omi? Das will ich wissen.“
„Weißt du, das ist für viele Menschen sehr schwierig, dabei kann es so einfach sein.“ Sie nahm die kleine Kinderhand in ihre mit Altersflecken übersäte Hand und legte sie ihm an sein Herz. „Mit dem Herzen siehst du dann, wenn du an etwas glaubst und deinem Glauben vertraust. Doch der Glaube ist vielen Menschen leider abhanden gekommen. Deshalb haben sie auch kein Vertrauen mehr, sehen nicht mit ihrem Herzen und meinen, es gäbe keine Engel.“
Sie streichelte ihm über sein blondes Haar und zwinkerte dabei dem Schutzengel zu, der seine Flügel hinter dem kleinen Tim ausgebreitet hatte.
„Wem zwinkerst du da zu, Omi?“ Dem kleinen Tim entging aber auch nichts!
Und mit einem sanften Lächeln blickte die Großmutter auf ihren Enkel und meinte: „Deinem Schutzengel. Ihm habe ich zugezwinkert.“
„Uiii. Ich habe einen Schutzengel?“ Tim kletterte eilig von ihrem Schoß, schaute sich in dem Wohnzimmer um und drehte sich dabei mehrfach um seine eigene Achse. „Aber wo ist er? Wo ist er? Ich will ihn auch sehen.“
„Wenn du dir und deinem Glauben vertraust, kleiner Tim, dann wirst du deinen Engel sehen. Dann siehst du ihn mit deinem Herzen.“
„Das will ich tun, Omi“, schrie der kleine Tim ganz begeistert. „Das will ich tun.“
Die Oma lachte über seine Freude und zwinkerte Tims Schutzengel erneut zu. Und der kleine Tim sah eine Lichtgestalt vor sich auftauchen, hell und klar, mit richtigen Flügeln und einem sanften Lächeln auf den Lippen.
„Uiii“, staunte der kleine Tim und stand seinem Schutzengel ganz still und ehrfürchtig gegenüber, bis dieser schließlich mit einem kurzen Nicken wieder verschwand.
„Nun, kleiner Tim? Gibt es Engel oder nicht?“
Stumm nickte der kleine Tim. „Ich habe mit dem Herzen gesehen, Omi.“
„Ja, das hast du. Zum ersten Mal heute. Und höre jetzt nicht wieder auf damit.“
„Nein. Nie wieder.“