Plot Potential: An der Supermarktkasse

Hier etwas verspätet, aber schließlich war ja Ostern, das Weekly #12. Es spielt bei mir an der Supermarktkasse. Kommentare willkommen. Welche der Geschichten würde sich für etwas Längeres eignen?

1. Sylvia Bannermann legte die Gurke, zwei Becher Joghurt und eine Flasche Akazienhonig auf das Band. Es war wie immer spät geworden im Büro und damit auch beim Einkaufen. Eigentlich hätte sie sich lieber auf ihr Sofa gelegt und Geleebananen genascht. Aber nein. Sie musste diszipliniert sein. Ein Joghurt für sie. Die anderen Zutaten für ihr Gesicht. Das musste reichen. Morgen war schließlich bereits die große Abschiedsfeier und damit ihre letzte Chance, Tim noch restlich von sich zu begeistern, bevor er nach London zog. Sie hatte sich zu dieser Feier extra ein knallrotes und ziemlich enges Kleid gekauft, das mit seinem Ausschnitt beim Gegenüber keine Fragen offen ließ. „Ich muss einfach mit ihm mit“, flüsterte Sylvia. „Was ist bitte?“, schrie ihr die dicke Kassiererin entgegen. „Einfach nur zahlen“, erwiderte Sylvia kühl und blickte etwas angeekelt auf die Frau in Kleidergröße 46. Wie konnte man sich nur so gehen lassen?

2. Seine Hand klammerte sich an dem Kaugummi in seiner rechten Hosentasche fest. Sie würde doch nichts merken, oder? Was, wenn sie die ausgebeulte Jeanstasche sah? Sollte er lieber seine Hand rausnehmen? War bestimmt besser. Aber jetzt: wohin damit? Einfach neben sich hängen lassen? Aber so stand er völlig bescheuert da. Das musste doch jedem auffallen, dass er etwas geklaut hatte. So stand doch kein normaler Junge da. Also die Hände wieder zurück in die Tasche. Da fiel der Schweiß auf seinen Handinnenflächen auch nicht so auf. Mit der anderen Hand hielt er das Kickerheftchen fest umschlossen. Die Umschlagseiten wellten sich schon leicht. Möglichst cool streckte er das Heftchen der Kassiererin entgegen. „Ich muss es einscannen.“ Was? Was meinte sie? Sie hielt auffordernd den Scanner hoch. Gott, er musste das Heft hinlegen. Ja, klar, erwiderte er. Seine Finger klebten an dem Papier fest. Die Handinnenfläche war bereits durch den Druck rot-schwarz angefärbt. „War das alles?“ Er spürte den fragenden Blick der Kassiererin und schluckte. Ob sie von dem geklauten Kaugummi wusste? Es war doch nur ein Kaugummi. Konnte man dafür schon ins Gefängnis kommen? „War das alles“, wiederholte sie, „oder möchtest du sonst noch was kaufen?“ Er schüttelte schnell den Kopf und kramte aus seiner linken Tasche einen Fünf-Euro-Schein. „Und ein Euro zehn zurück. Grüß deine Mutter schön, Marc, okay?“ Gott, sie wusste auch noch, wer er war. Er nickte stumm, griff nach Geld und dann nach dem Heft, seine rechte Hand immer noch um den Kaugummi gefesselt. Dann stürmte er in die Abendluft, seinen johlenden Freunden entgegen.

3. Ich will aber deine Mutter am Wochenende nicht sehen, Schatz. / Aber sie kann etwas Gesellschaft vertragen, Bea. / Dann kann sie doch auch mal was mit ihren Frauen vom Bridge unternehmen. Oder mal ein Hobby anfangen. / Wir sind ihre einzige Familie, die sie noch hat. Und seit Vaters Tod… / Trotzdem kann sie nicht immer bei uns sein. Sie wohnt ja schon fast bei uns. Ich will einfach nur mal wieder ein Wochenende für uns. / Haben Sie noch die Gutscheine für Ihre Pfandflaschen? / Ja, bitte, hier. / Außerdem muss ich immer alles neu beziehen, wenn sie kommt, weil sie nicht zwei Mal hintereinander im selben Bettbezug schlafen will. Ich habe auch noch andere Sachen zu tun. / War der Einkauf recht gewesen? / Ja, danke. Waschmittel haben wir jetzt vergessen, Schatz. Siehst du, das fällt mir gerade ein. Gehst du noch schnell eine Packung holen? Ich warte so lange. Das blaue mit dem Frühlingsduft. / Ja, klar. Bin gleich wieder da. / Dann müssten Sie sich aber wieder anstellen. Ich muss jetzt leider die anderen Kunden abkassieren. / Sie können doch noch kurz warten. Er ist ja gleich wieder da. / Tut mir leid. Bitte treten Sie zur Seite. / Gott, dann nehme ich das Waschpulver eben nicht. Günther, komm zurück. Hörst du? Ich kaufe jetzt kein Waschmittel für deine Mutter. Soll sie doch einfach in ihrem alten Bezug schlafen. Tun andere Menschen ja auch.

4. Celine schaute auf ihre Armbanduhr. Endlich mal eine kurze Verschnaufpause. So um halb zehn war immer kurz Ruhe. Da konnte sie zwischen all den Lebensmitteln, die sie über das Band schob, auch selbst mal was essen. Sie kramte das Snickers aus ihrer Tasche hervor und biss hinein. Schokolade! Das tat gut. Hastig biss und kaute Celine und blätterte schnell durch die neue Ausgabe der InStyle. Lauter hübsche Frauen. Und so toll geschminkt. Celine schaute immer ganz besonders auf die Augen. Die waren mit am schwierigsten zu machen, fand sie. Hier war beim Make-up besondere Sorgfalt angebracht. Und wenn sie in einem Jahr ihren Realschulabschluss hatte und in der Kosmetikschule anfing, da musste sie das mit den Augen bereits drauf haben. Da wollte sie sich keine Blöße geben. Das hatte sie sich fest vorgenommen. Sie kramte unter der Kasse die Flasche Cola hervor und spülte die restlichen Erdnussstückchen mit einem großen Schluck herunter. Ein Tropfen landete auf Seite 24 des Magazins, und Celine wischte ihn schnell weg und schlug das Heft zu. Im Regal würde das keiner merken.

5. Peter legte die Großpackung Windeln auf das Band. Ein Gläschen Karottenbrei würde der Dame an der Kasse bestimmt reichen, oder sollte er lieber gleich alle mit aufstellen? Kostete Karotte gleich viel wie der Apfelbrei? Hm, das wusste er jetzt auch nicht. Besser auch mal eins vom anderen Gläschen aufstellen. „Wie viel haben Sie von jeder Sorte?“ Er zählte nochmals nach, obwohl er eigentlich die Antwort bereits wusste. Aber wusste das auch die Kassiererin? Er empfand das erneute Abzählen als Vertrauensbeweis und sagte mit beinahe stolz geschwellter Brust: „Elf.“ Sie tippte etwas in ihre Kasse, ohne sich für die Antwort zu bedanken. „Dreiundfünfzig, siebenundsechzig, bitte.“ Hätte er gewusst, dass Kinder so viel essen und damit so viel kosten würden, hätte er sich das mit dem Angebot der Abtreibung nochmals überlegt, als Gundula vor dreizehn Monaten damit zu ihm kam. Was ihn in jenem Moment sentimentaler Umnachtung nur getrieben hatte?

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