Es gibt eine schöne Empfehlung im Improtheater, um zu einer so genannten Langform zu kommen (also einer Szene, die sich mit den gleichen Personen und verschiedenen Handlungssträngen über eine längere Zeit erstreckt), und dieser Tipp heißt: Wirf zwei Bälle in unterschiedliche Richtungen und bring diese Bälle dann sinnvoll und sinnhaftig zusammen. Dabei stehen die Bälle für zwei Ereignisse oder zwei Geschichtenanfänge. Hört sich kompliziert an, ist aber an sich ganz einfach und, wenn es entsprechend umgesetzt wird, magisch.
Die eine Geschichte dreht sich vielleicht um eine junge Frau, die in New York ihren Traum wahr machen möchte und sich deshalb für einen Platz an einer berühmten Ballettschule bewirbt. Das Mädchen ist ambitioniert, Tanzen ist ihr Leben. Die andere Geschichte handelt zum Beispiel von einem älteren Ehepaar, das sich nichts mehr zu sagen hat und ihre Leben parallel aber nicht miteinander verbringen. Um diese zwei Geschichten geht es, und sie können jetzt auf unterschiedliche Weise miteinander in Berührung kommen, ohne dass sich die Charaktere dabei wirklich unbedingt treffen oder in direktem Bezug stehen. Vielleicht taucht ein Gegenstand in der einen wie in der anderen Geschichte auf. Oder eine Farbe spielt in beiden eine besondere Bedeutung. Es gibt Berührungspunkte, aber diese entwickeln sich, sind fein und zart. Wenn der Zuschauer (und die Schauspieler!) die Bande aber entdeckt, ist es eine fantastische Entdeckung – eben Magie und Faszination.
Warum erzähle ich das alles? Weil ich gerade Stephen Kings Buch „On Writing“ lese und er von einem ganz ähnlichen Phänomen spricht, um zu Geschichten und Charakteren zu kommen. Zu seinem Buch „Carrie“ hat er zwei völlig voneinander unabhängige Impulse genommen und sie zu einer Geschichte mit einem starken Charakter verknüpft. Diese Verknüpfung ist am Ende im Buch vielleicht nicht unbedingt so zart wie die Banden auf der Bühne, aber es geht um das gleiche Prinzip: Wirf zwei Bälle, führe sie sinnhaft zusammen, und es entsteht Magie und Faszination. Insofern: Mut zum zunächst Gegensätzlichen oder völlig Anderem, Unabhängigem und Mut zur Verknüpfung dieser beiden Impulse/Ideen/Geschichtsanfänge!