#frapalymo 6mai15: abteilung der wirbellosen

ein paarmal in der woche wanderte ich durch meine kindheit
hüter meiner angst

mütterlicherseits war ich
im souterrain eingeklemmt wie versteinert
mit anderen worten tränenäugig

in der gegenrichtung der artikel mensch
großvater
ich erinnere mich
an jemandes hand ein zusammenspiel eine illusionsmache
erinnere ich mich nicht
muss ebenfalls großvater gewesen sein

nie nach hause
ganz deutlich am häufigsten
glücklich angekommen

 

das ist gedicht no. 6 von frau paulchen für den #frapalymo, und der impuls lautete „nur wörter aus zwei seiten sind erlaubt“. meine beiden seiten stammen aus „museen“ von tranströmer aus diesem band.

30 tage, 30 gedichte, no excuses (+1): wer beim #frapalymo mitmachen mag, kann dies entweder für sich tun und die impulse für die eigene schreibstube nutzen. oder im unten stehenden kommentarfeld seinen blog/webseite verlinken. oder das gedicht selbst über das kommentarfeld hochladen. oder auch einfach sonst einen kommentar hinterlassen. ähnlich über twitter mit link und kennung #frapalymo und @FrauPaulchen

45 thoughts on “#frapalymo 6mai15: abteilung der wirbellosen

  1. Komisch, es war mir beim lesen des Impulses sofort klar, welches Buch ich wieder einmal aufschlagen werde. Es wurde schwieriger, bis die richtigen Wörter gefunden waren. Dann formte sich das Bild neu. Ging es Dir auch so, liebe Sophie?

    • bei dem text hatte ich länger gesucht, aber dann stachen einzelne wörter sofort hervor. schwieriger war es für mich, mich zu entscheiden und dann meine gewünschten „füllwörter“ zu finden bzw. auf andere auszuweichen. eine schöne übung!

  2. Corinna says:

    In der Stille meiner Stube
    stand ich allein
    im Hof unten
    rückten Stühle klapperten
    Teller klirrten Löffel
    die paar Quadratmeter Himmel
    zwitscherten herüber
    ein Kind
    begann zu singen
    nicht ausgeschlossen, daß
    ich heute ein verwegenes Sommerkleid
    anziehe

    (Worte aus dem Prosatext „Brief ins Blaue“ in:
    „Das lyrische Stenogrammheft“ von Mascha Kaléko)

  3. Gerda Steger says:

    Offenbarung

    wieder Blumenzeit
    im Wald und auf den Wiesen
    mit lichtem Grün und
    Augenblicke des Entzückens
    Frühling sich enthüllt
    ehe die Regenfälle
    schwer und gewaltig
    den Anblick der Anemonen
    und Blausterne bestrichen:
    Empfindungen und Gedanken
    von sinnlichem Erlebnis

    *Impuls: die ersten beiden Seiten aus „Aprilbrief“ von Hermann Hesse

  4. FrauFrog says:

    Ankunft in Andalusien

    Ich will
    eine Wohnung 
beim Feigenbaum
    in einem der weißen Dörfer am Meer
    Ein Stein, ein Stuhl, eine Schreibmaschine:
    meine Gegenstände
    Über meinem Kopf
    Bahnen
    aus Ginster und Lavendel
    da will ich bleiben
    in der Abendsonne glühen
    meine Murmeln in den Himmel werfen
    mich in die Nacht legen
    zu den Wurzeln
    der Mohnblumen
    wie ein Kind

    Impuls: „Abschied aus Andalusien“, Hilde Domin „Gesammelte Gedichte“.

    http://sargantanasal.com/category/frapalymo/

  5. FrauFrog says:

    Danke Sophie, für diesen Impuls. Ich bin beeindruckt, was daraus entstehen kann. Und ich werde mir sofort Tranströmer kaufen… Das hatte ich eh schon lange vor.

    • oh, das freut mich sehr, fraufrog – ich bin auch begeistert, welche neue (gedanken/wort/bild)wege sich durch dieses „außen“ öffnen. lieben gruß. sophie

  6. roteFrau says:

    universell,prinzipiell,beweglich,wurzelnd,bewahrend,nachgiebig,augenzu,
    fußsohlenfest,Geschmeidigkeit,Langsamkeit,Entschlossenheit
    Quelle der „Worttropfen“ : Shaolin Du musst nicht kämpfen um zu siegen B.Moestl//
    Worte aneinanderreihen – wo ein jedes schon eine Wahrheit ist…

  7. Guten Tag!
    Diesmal kommt von mir ein Versuch, die Mehrsprachigkeit des #frapalymo zu unterstützen. Ein deutsch-niederländisches Gedicht. Ich habe nur niederländische Wörter verwendet, die dem Deutschen sehr ähnlich sind, so dass ein Verständnis ohne Wörterbuch möglich sein müsste.

    Für das Material dazu danke ich Cees Nooteboom. Es stammt aus dem liebenswerten, zweisprachigen Lyrikband
    Das Gesicht des Auges
    Het gezicht van het oog
    aus dem Zyklus
    Wat er te zien was/Was es zu sehen gab
    Gedicht 3, Seite 30 und 31

    Leider kommt die farbliche Formatierung hier nicht zur Geltung (blau für niederländisch, rot für deutsch), daher beschränke ich mich hier auf den Link:
    http://ulerolff.net/2015/05/01/jeden-tag-ein-gedicht-schreiben/

  8. elbée says:

    fortbildung

    (abwesend) formalitäten erfüllen
    in eine andere form bringen
    déformer ?*
    sachen fortbringen
    forschender blick (verloren)
    il faut que je parte**
    désormais***

    und so fort

    elbée
    __________
    * deformieren ?
    ** ich muss fort
    *** fortan

    [langenscheidts großes schulwörterbuch deutsch – französisch, 10. auflage, 1991, seiten 304, 305 (fördern – fortdauer)]

  9. Esther Ackermann says:

    Dem Grundschulrektor aufgefallen
    Die zahme Ratte Tusnelda
    Der Stiftung gemeldet
    Hochbegabungsprämie nicht entgehen lassen

    Vor der Elitedeportation ins Internat
    Noch einmal Reste
    Angebrutzelter Bratkartoffeln
    Und auf der Schulter
    Kühle logische Leidenschaft

    Warum sind dem Springer Sprünge gestattet
    Darf der Turm nur geradeaus gehen
    Der Läufer nur diagonal

    Quelle (was ich gerade lese): Birgit Vanderbeke, Die Frau mit dem Hund, S. 80/81

  10. schaumbildung

    fein zermahlener vorsatz
    in holziger tresterschale
    als knackige
    pulpe im feuchten sieb
    entsaftet qualitäten und werte mit
    steter gleicher geschwindigkeit
    dünnflüssig ausgewogen
    extrahiert unerwünscht

    Quelle: Bedienungsanleitung des Entsafters Champion

    • Diese Maschine ist schon seit einer Weile am Werk: mit steter, gleicher Geschwindigkeit werden Qualitäten und Werte seit längerem entsaftet, und meine Vorsätze dagegen anzugehen, fühle ich auch allmählich fein zermahlen. An so unerwarteter Stelle so tiefe Erkenntnisse entdecken und so auf den Punkt bringen – gekonnt!

      (Zum Glück werden die Rechenaufgaben zum Abschicken der Kommentare wieder einfacher.)

  11. überstunden

    durch die moore geblendet,
    haust im regenwind rausch
    und gestrüpp,

    schweigen versucht,
    im spätnächtlichen
    schwarzgestreift heimzufahren –

    hinter der eisbrücke wald.
    taumel, grün,
    ein ausklang der knospen.

    am parkplatz unter der mauer,
    der vortreppe, zeitungen,
    eine schicht bretter und stöcke.

    Wörter aus: Kerstin Ekman, Geschehnisse am Wasser, deutsche Taschenbuchausgabe 1997,
    S. 392 und 393.

  12. philosophina says:

    die Seele vergiftet
    Betrug und Sünde
    wie der verlorener Handschuh
    in der Zeit der Gaukler
    Sprache und Form
    vertiefen Wirkung
    zerfließen betäubt
    das menschliche Band
    der Kunst verpestet

    Meine beiden inspirierenden Seiten stammen aus Kandinskys „Über das Geistige in der Kunst“.

  13. innerlich mit lesebrille

    gegen drei uhr
    ein wenig wand
    am ende der abzweigung

    zeitvertreib verabschiedet die welt
    wo das ende nicht zu ahnen ist

    stickige luft verstummt das chanson
    wie damals im stadttheater
    proben angebote auf der titelseite
    in maßloser angst

    an der kaffeemaschine elend leise
    attraktiv gegenüber der beschaffung
    geld beschäftigt langeweile
    irgendwo paaren sich blicke

    streiche das ende der zivilisation
    wie katzen aus liebe die tür

    nach Sybille Berg „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“ Seiten 11 + 12

  14. Ruth says:

    sie singen ihre alten Geschichten herausfordernder
    Gedanken berühren die Sterne längst
    vergangener Tage brechen dir
    ein mutigeres Herz im Irrgarten des Zweifels

    lass dich nicht täuschen
    lass dich nicht täuschen
    lass dich nicht täuschen
    von
    der endlosen
    Wiederholung
    tu nicht so,
    als seist du
    nicht da
    halte dich fest
    befrei
    ihren Gesang
    vom Schatten deines Verstandes.

    inspiriert durch „Weisheit der vier Winde“

  15. Rike says:

    einladen in untergehendes Sonnenlicht im Garten wahrscheinlich
    ausnahmsweise einträchtig der Zwischenfall in Ruhe
    heimlich im Fahrtwind die Sehnsucht wenigstens
    gestern in Sommerfrische
    zu Besuch mit Konversation im Kopf

    zu S. 146 P.Durst-Benning: Solang die Welt noch schläft (Roman) meine derzeitige Lektüre, aktuelle Seite

  16. Hina Artemon (@HArtemon) says:

    blüten atmen
    getrocknete erinnerungen
    im regen verwoben
    zwischen anderer wollfäden
    spät
    lesen wünsche
    im morgenstundentau

    (Benutzt wurde die Doppelseite #earlypoem/chamäleonisiert aus „fragment I“ von Sophie Paulchen.)

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