morgen ab dämmerung

ein gedicht aus einer anderen sprache zu übersetzen, lässt mich mit meiner eigenen sprache beschäftigen. das regt zur suche nach dem richtigen begriff, dem richtigen bild an. nun will und kann ich keine literaturübersetzerin sein, weshalb ich die übersetzten texte nachverdichte. denn an das original und seinen reiz käme zumindest ich nie heran. gestern habe ich mir das wunderschöne poème von victor hugo von 1847 vorgenommen, „demains dès l’aube“.

Demain, dès l’aube…

Demain, dès l’aube, à l’heure où blanchit la campagne,
Je partirai. Vois-tu, je sais que tu m’attends.
J’irai par la forêt, j’irai par la montagne.
Je ne puis demeurer loin de toi plus longtemps.

Je marcherai les yeux fixés sur mes pensées,
Sans rien voir au dehors, sans entendre aucun bruit,
Seul, inconnu, le dos courbé, les mains croisées,
Triste, et le jour pour moi sera comme la nuit.

Je ne regarderai ni l’or du soir qui tombe,
Ni les voiles au loin descendant vers Harfleur,
Et quand j’arriverai, je mettrai sur ta tombe
Un bouquet de houx vert et de bruyère en fleur.

(Victor Hugo, 1847)

und hier meine übersetzung und nachverdichtung:

morgen ab dämmerung
morgen ab dämmerung in der stunde
in der das land erblasst
werde ich gehen

siehst du
ich weiß dass du auf mich wartest
ich werde durch wälder gehen über berge
ich kann nicht lange von dir
fort sein

ich werde gehen
die augen auf meine gedanken gerichtet nichts
sehen nichts
hören einsam unerkannt der rücken
gekrümmt die hände verschränkt traurig
der tag wird wie die nacht sein

ich werde
weder das gold des abends betrachten noch
die tanzenden segel im hafen und wenn
ich ankomme
werde ich auf dein grab
ein strauß jadegrün und heidekraut
legen

(sophie in starker anlehnung an hugo, 2016)

4 thoughts on “morgen ab dämmerung

  1. Gerda Steger says:

    Liebe Sophie, die Übersetzung eines Gedichtes ist immer ein Wagnis, da sie nicht nur viel Sprachgefühl, Facetten des Ausdrucks, den Blick für die feinen Zwischentöne einem abverlangt, vor allem auch eine lyrische Sensibilität voraussetzt, ein tiefgreifendes Hinein-gehen in die Seele des Dichters erfordert.
    Dir ist es sprachspielend gelungen, mit origineller, moderner Note intensive Wortbilder zu entwerfen, in Hugos sprachmächtigen Tiefen einzutauchen, emotionale Tiefe zu verdichten. Leben und Tod stehen sich hier erhaben so nahe.
    Die Stimme der Seele, so wehmütig schön, geht mir unter die Haut.
    Danke, Sophie, für diese umgesetzten Gemütsbewegungen, für diese hervorgerufenen Emotionen jetzt am Morgen mir auch der Tag im Regen erblasst. Chapeau!!!

  2. Liebe Sophie,
    ich finde, die Übertragung des Gedichtes, die Stimmung zu treffen, ist Dir ganz wunderbar gelungen.
    Die neue, eigene Gliederung und Betonung, der neue Rhythmus, gefallen mir besonders gut. Ich lese die Neudichtung sehr gerne.
    Liebe Grüße,
    Klaus

  3. liebe gerda, lieber klaus, danke euch beiden für die schöne rückmeldung. das spornt auch an, mich weiter mit schönen fremdsprachentexten, übersetzungen und nachverdichtungen zu beschäftigen. das hat wirklich seinen ganz eigenen charme. danke euch. lg. sophie

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